10 Fragen an Prof. M. J. Wilhelm, kürzlich abgetretener Präsident des Comité Médical

Herzchirurg Prof. Dr. med. Markus Johannes Wilhelm leitete während viereinhalb Jahren das Comité Médical. Wie er als «oberster Transplantationschef» durch die Corona-Pandemie navigierte, was die erweiterte Widerspruchslösung bringt und ob Schweineherzen tatsächlich in der Transplantationsmedizin Einzug halten, verrät er im Interview.

Prof. Markus Johannes Wilhelm

Spitzenmediziner, Professor und angenehmer Zeitgenosse. Der beliebte Herzchirurg aus Zürich leitete viereinhalb Jahre das Comité Médical.

Herr Prof. Wilhelm, warum haben Sie diesen Beruf gewählt?
Als Kind in Karlsruhe hat mich fasziniert, dass der Doktor bei einer Grippe oder einer Magen-Darm-Grippe nach Hause kam und man danach geheilt war. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt und ich wusste, das will ich auch mal machen. Bereits im Gymnasium war für mich dann klar, dass ich die Fachrichtung Herzarzt einschlagen möchte.

Was macht einen guten Chirurgen aus?
Das Handwerkliche kann man lernen. Nebst guten Händen und Augen muss man in erster Linie einen durchdachten Plan für die Operation haben. Zudem muss man schnell Entscheidungen treffen können, denn trotz Plan gibt es ungefähr ein Drittel Unvorhergesehenes. Bei einer Herztransplantation sind rund 12 Personen involviert, Teamfähigkeit und Durchhaltevermögen sind deshalb zentral. Nicht zu unterschätzen ist die mentale Stärke, ich glaube, das ist das Allerwichtigste.

Wie viele Herzen haben Sie bereits transplantiert?
Im USZ war ich bei über 80 Herztransplantationen beteiligt.

Was war Ihre Aufgabe als Präsident des Comité Médical?
In der Schweiz gibt es 6 Transplantationszentren. Und pro Organ gibt es eine zentrumsübergreifende Arbeitsgruppe bei Swisstransplant. Meine Aufgabe war die Koordination der Arbeitsgruppen und der Transplantationszentren auf dem Gebiet der Transplantation. Das Pensum hat etwa 5 % meiner Arbeitszeit ausgemacht.

Was ist Ihr grösster Verdienst als Präsident des Comité Médical?
Am meisten gefreut hat mich, dass wir während der Covid-Pandemie im 2020 nur eine relativ geringe Reduktion der Transplantationen von 16.7 % gegenüber 2019 hatten. Das ist eine Riesenleistung aller Beteiligten und im Vergleich mit den umliegenden Ländern ein erstaunlich guter Wert.

Prof. Markus J. Wilhelm
«Nicht zu unterschätzen ist die mentale Stärke, ich glaube, das ist das Allerwichtigste.»

Wie stark hat die Corona-Pandemie die Herzchirurgie betroffen?
Wir konnten keine Wahleingriffe mehr durchführen, dadurch waren Patientinnen und Patienten tatsächlich gefährdet. Und potenzielle Patientinnen und Patienten kamen gar nicht erst ins Spital und starben vielleicht an einem Herzinfarkt zu Hause. Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir in einer möglichen nächsten Welle besser gewappnet sind, weil wir die eingespielten Prozesse reaktivieren können.

Wie erleichtert sind Sie, dass das Volk die erweiterte Widerspruchslösung angenommen hat?
Sehr. Das klare Resultat von 60.2 % Ja hat mich positiv überrascht. Damit dürfen wir in den nächsten 10 Jahren mit einem jährlichen Zuwachs der Spenderate von 3–7 % rechnen, was mittelfristig zu einer Verdoppelung der Spenderate und mehr Spendeorganen führen könnte.

Prof. Markus J. Wilhelm
«Mein Appell ist stets: Setzen Sie sich mit der Frage auseinander, egal ob Ja oder Nein, entscheiden Sie jetzt oder gleich!»

Was sagen Sie jemandem, der unschlüssig ist, ob sie/er spenden will oder nicht?
Das grosse Plus des Systemwechsels ist, dass die Organspende jetzt das Bewusstsein der Menschen erreicht hat und in den Köpfen drin ist. Mein Appell ist stets: Setzen Sie sich mit der Frage auseinander, egal ob Ja oder Nein, entscheiden Sie jetzt oder gleich! Das entlastet die Angehörigen. Viele haben das Gefühl, dass ihre Organe nicht mehr gebraucht werden könnten. Hier versichere ich: Vor einer möglichen Organentnahme wird genau untersucht, ob die Organe transplantierbar sind.

Beeinflussen ökonomische Gesichtspunkte, zum Beispiel die hohen Krankenkassenprämien, einen Herzchirurgen?
Bei meiner Arbeit steht ein anderer Faktor im Vordergrund, nämlich das Wohl der Patientinnen und Patienten. Aber ja, wenn man sich als Gesellschaft eine Spitzenmedizin leisten kann und will, kostet das etwas.

Was bringt die Zukunft der Herzchirurgie, kommen die Schweineherzen?
Ich glaube eher nicht, die Abstossung eines Tierorgans wird immer eine grosse Herausforderung bleiben. Oder wie Norman E. Shumway, der Übervater der Herztransplantation, zu sagen pflegte: «Xenotransplantation will be the future of heart transplantation, and it will ever be.» Also auf Deutsch: «Die Xenotransplantation wird die Zukunft der Herztransplantation sein – und wird sie immer bleiben.»

Prof. Dr. med. Markus Johannes Wilhelm

arbeitet seit rund 20 Jahren als Herzchirurg am Universitätsspital Zürich (USZ) und ist dort seit Januar 2021 Leitender Arzt der Klinik für Herzchirurgie. Als Verantwortlicher der Herztransplantation USZ in der Klink für Herzchirurgie umfasst sein Spezialgebiet die klinischen Schwerpunkte der Herztransplantation sowie die postoperative Behandlung nach herzchirurgischen Eingriffen.

Von Dezember 2017 bis Juni 2022 hat Wilhelm das Comité Médical von Swisstransplant präsidiert. Zuvor leitete der heute 60-Jährige während 4 Jahren die Arbeitsgruppe Herz von Swisstransplant. Zu seinen Ausbildungs- und beruflichen Stationen zählen Düsseldorf, Berlin, Zürich, Boston und Münster.

Privat gehört das Herz des deutsch-schweizerischen Doppelbürgers seiner Ehefrau – einer gebürtigen Einsiedlerin –, schönen, schnellen Autos, dem Reisen sowie dem Mitfiebern bei spannenden Fussballmatchs und Motorsportrennen.

 

6 Schweizer Transplantationszentren

Wie im Transplantationsgesetz vorgeschrieben, werden der Spendeprozess und der Transplantationsprozess möglichst unabhängig voneinander organisiert. In der Schweiz gibt es 5 Organspendenetzwerke, die alles rund um die Spendedetektion und die Organentnahmen abdecken. Daneben werden in den 6 Transplantationszentren in Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen und Zürich die Menschen auf den Wartelisten betreut und Transplantationen durchgeführt; Herztransplantationen in den 3 Herztransplantationszentren am Inselspital Bern, CHUV Lausanne und USZ Zürich (Bild). Laut Prof. Markus J. Wilhelm ist die Trennung zwischen dem Spendeprozess und der Transplantation sowie die Konzentration auf 3 Herzzentren sinnvoll und stimmig.