10 Fragen an Dr. Anisa Hana und PD Dr. Matthias Hilty, Co-Leitende des Organspendenetzwerks DCA
Eine gute Betreuung am Lebensende gehört zu den Kernaufgaben der Intensivmedizin – unabhängig ob es zu einer Organspende kommt oder nicht. Ebenfalls im Fokus stehen die Gespräche mit den Angehörigen. Aufgaben, die nur mit viel Engagement und in Teamarbeit optimal gelingen.
Wie funktioniert Ihre Co-Leitung?
Dr. Anisa Hana: Wir haben uns so organisiert, dass die Arbeit effizient abläuft und keine Lücken entstehen. Wir ergänzen uns durch unsere unterschiedlichen Kompetenzen und Talente. Ich habe die Verantwortung für die internen Prozesse übernommen. Meine Aufgabe ist es, Schnittstellen zur Intensivstation herzustellen. Dass wir zu zweit sind, erleichtert die Kontaktpflege innerhalb der 23 Spitälern der DCA. Persönlich habe ich an diversen Universitäten unterrichtet, das ist mein Standbein.
PD Dr. Matthias Hilty: Bei mir angegliedert sind übergeordnete Prozesse und Strukturen, Qualitätskontrolle, Weiterentwicklung, Forschung und nationale Repräsentation. Ich erachte es auch als grossen Vorteil, wenn man die recht komplexen Fragestellungen ethischer und praktischer Natur zu zweit besprechen kann.
Welchen Stellenwert hat die End-of-Life-Care?
PD Dr. Matthias Hilty: Die Pflege am Ende des Lebens ist eine sehr wichtige Aufgabe von uns Intensivmedizinern im Spitalalltag. Sie ist aus meiner Sicht auch in der Gesellschaft immer noch unterrepräsentiert. 80–90 % der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation überleben. Es ist unsere Verpflichtung, den anderen 10–20 % die bestmögliche Therapie am Lebensende anzubieten. Dazu gehört herauszufinden, ob die Organspende ein Wunsch ist und diesen gut umzusetzen.
Ist es nicht frustrierend, wenn jede 5. Patientin oder jeder 5. Patient stirbt?
Dr. Anisa Hana: Als Ärztin geht es mir darum, das Leben schwer kranker Menschen zu retten und ihnen zu helfen, wieder gesund zu werden oder zumindest eine bessere Lebensqualität zu erlangen. Am Lebensende, wenn das Ziel der Therapie nicht mehr Heilung sein kann, ist die würdevolle Begleitung des Patienten in der Sterbephase eine ebenso grundlegende ärztliche Aufgabe, wobei die Wünsche des Patienten zu respektieren sind. In der End-of-Life-Care geht es um die ganzheitliche Betreuung sowohl in medizinisch-somatischer, als auch in psychologischer, spiritueller und ethischer Hinsicht. Das Thema Organspende ist darin fest verankert.
Wie laufen die Angehörigengespräche ab?
PD Dr. Matthias Hilty: Zuerst wird mit der Familie zusammen der mutmassliche Patientenwille mit den medizinischen Gegebenheiten abgeglichen. Wenn das Behandlungsziel des Patienten nicht mehr erreichbar ist, wird der Entscheid zu einer Therapiezieländerung gemacht. Die Frage nach der Organspende wird dann in einem 2. Gespräch gestellt. Leider ist es in der Schweiz so, dass der Wille der verstorbenen Person dazu in den wenigsten Fällen bekannt ist. Deshalb hängt sehr viel davon ab, dass wir in diesen Gesprächen alles gut erklären können. Je nach Situation der Angehörigen besteht die Möglichkeit, ein Careteam beizuziehen.
Dr. Anisa Hana: Die Frage nach der Organspende muss man stellen, das ist gesetzlich klar geregelt. Wir bieten bei den Gesprächen Unterstützung an. Das schätzen die Angehörigen und die medizinischen Teams.
Dr. med. Anisa Hana
ist Oberärztin am Institut für Intensivmedizin am Universitätsspital Zürich. Ihre Ausbildung absolvierte sie in den Niederlanden und in Deutschland. Dreieinhalb Jahre arbeitete sie am Inselspital und Tiefenauspital in Bern und seit Oktober 2022 ist sie Co-Leiterin des Organspendenetzwerks Donor Care Association (DCA). Seit kurzem präsidiert sie den Fachausschuss DCD (Spende im Hirntod nach Herz-Kreislauf-Stillstand) des Comité National du Don d’Organes (CNDO). Hana spricht bereits fliessend 7 Sprachen und lernt neue dazu. Weitere Hobbys von ihr sind Lesen, Philosophie, Kunst und Musik.
PD Dr. med. Matthias Hilty
ist Leitender Arzt am Institut für Intensivmedizin am Universitätsspital Zürich. Seit 2010 arbeitet er dort auf verschiedenen Intensivstationen, auch während der Coronapandemie. Seit Oktober 2022 ist er Co-Leiter der DCA. Wie seine Kollegin Dr. Hana ist er weiterhin zu 50 % auf der Intensivmedizin klinisch tätig. Den Ausgleich zur Arbeit holt sich Hilty in der Natur – am liebsten in den Bergen mit Klettern, Hochtouren und Skitouren, die er gemeinsam mit seiner Familie geniesst.
Worauf achten Sie im Gespräch?
Dr. Anisa Hana: Es ist sehr wichtig, klar zu formulieren und zu dokumentieren: Keine Information darf verloren gehen. Da die Gespräche für die Menschen verständlicherweise emotional sehr belastend sind, ist es manchmal notwendig, das Gesagte erst einmal sacken zu lassen oder es in einem Folgegespräch zu wiederholen. Hier muss man als Ärztin und Donor Care Manager auch flexibel sein und sich auf die individuelle Situation der Familie einstellen.
PD Dr. Matthias Hilty: Bezüglich der Zustimmung zur Organspende können wir sehr viel erreichen. Uns obliegt es, die Diskrepanz aufzulösen, dass in der schwierigen Situation viele Angehörige der Organspende nicht zustimmen, obwohl die Meinung zur Organspende in Umfragen in der Bevölkerung mehrheitlich positiv ist.
Welche fachlichen Entwicklungen gibt es?
PD Dr. Matthias Hilty: Es gibt noch immer Patienten, die einen Organspendewunsch hätten, aber die teils recht komplexen medizinischen Gegebenheiten dessen Erfüllung noch nicht zulassen. Ein zentraler Schritt ist, überhaupt zu erkennen, dass eine Organspende möglich wäre. Diese Voraussetzungen für die End-of-Life-Care sind wir am Ausbauen. Es muss genau so innovativ weitergehen, wie wir bis jetzt unterwegs waren. Bei der Schnittstelle zwischen End-of-Life-Care, Intensivmedizin und Organspendemedizin dürfen keine Fehler passieren.
Dr. Anisa Hana: Im Bereich der DCD-Spende nimmt die DCA in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein. Seit über 10 Jahren führen wir Kurse zur Hirntoddiagnostik durch. Und die Kommunikationskurse von Swisstransplant nehmen wir gerne in Anspruch, sie helfen uns bei den Angehörigengesprächen.
Welche Rolle spielt das Team?
Dr. Anisa Hana: Wir haben ein sehr enthusiastisches Team, man kann diesen Job nicht von 9 bis 5 machen. Wir meistern die Situationen gemeinsam, lernen voneinander und entwickeln neue Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die Augenhornhautentnahme am Kantonsspital Winterthur, wo neu Pflegende dafür ausgebildet werden. Durch die Förderung der nationalen Zusammenarbeit werden die einzelnen Netzwerke gestärkt.
PD Dr. Matthias Hilty: Es ist für ein Team ganz wichtig, zusammenzustehen und sich gegenseitig zu stärken und sich zu hinterfragen. Wir geben diesem Austausch genügend Spielraum.
Wird Ihr Team auch psychologisch begleitet?
PD Dr. Matthias Hilty: Ja, monatlich besprechen wir alle Fälle im Team und gehen auf schwierige Situationen ein, die es immer wieder gibt. Die Kolleginnen und Kollegen der klinischen Ethik unterstützen uns sehr. Der interdisziplinäre Dialog ist extrem wichtig. Es ist nicht immer einfach, das Erlebte emotional zu verarbeiten. Es ist nicht immer ein Schwarz-Weiss. Man muss wirklich darauf achten, dass man im Leben einen Ausgleich zur Arbeit hat, um komplett an etwas anderes zu denken.
Wie ist der Wissensstand in der Bevölkerung punkto Widerspruchslösung?
PD Dr. Matthias Hilty: Durchs Band weg ist die Wahrnehmung der Leute, dass man in Zukunft eine Organspende machen kann, wenn man nicht vorgängig etwas dagegen geäussert hat. Und das scheinen die Leute so auch zu akzeptieren. Aber es ist natürlich ein Missverständnis. Es braucht Aufklärungsarbeit, dass mit der erweiterten Widerspruchslösung selbstverständlich keine Organspende stattfindet, wenn nicht die Angehörigen befragt werden können, ob der Widerspruch potenziell da wäre. Es ändert sich daher vor allem ideell etwas zum Status quo.
Also wird sich in der Praxis ab 2026 gar nicht viel ändern?
PD Dr. Matthias Hilty: Doch, man beginnt von einem anderen Punkt im Angehörigengespräch, ich denke das macht einen entscheidenden und wertvollen Unterschied. Der Hauptfokus liegt aber weiterhin darauf, dass wir alle gut miteinbeziehen, die Angehörigengespräche gut führen, gut aufgestellt sind mit der entsprechenden Expertise und einen guten End-of-Life-Prozess ermöglichen – mit oder ohne Organspende.
Dr. Anisa Hana: In den Niederlanden gibt es die Widerspruchslösung schon seit einigen Jahren. Und sie bringt tatsächlich einen anderen Einstieg in das Gespräch mit den Angehörigen. Dieses muss aber genau so professionell, hochqualitativ, empathisch geführt werden – unabhängig vom Einstieg. Wenn ein Mensch seine Organe spendet, hat er den Wunsch, jemand anderem etwas Gutes zu tun, und es ist unsere Verpflichtung, medizinisch, ethisch, juristisch, alles zu tun, um diesem Wunsch bestmöglich zu entsprechen.
Donor Care Association (DCA)
Die DCA ist 1 von 5 Organspendenetzwerken in der Schweiz. Es umfasst das Transplantationszentrum Universitätsspital Zürich und die 2 Entnahmespitäler Kantonsspital Graubünden und Kantonsspital Winterthur. Zur DCA gehören 20 weitere Detektionsspitäler in den Kantonen GL, GR, SH, SZ, TG, ZG und ZH. Die Pensen der Donor Care Manager (DCM) in der DCA befüllen 7.9 Stellen. Mit 72 Betten ist die Intensivstation im Universitätsspital Zürich (USZ) die grösste in der Schweiz. Im Careteam am USZ arbeiten rund 50 Personen.
Bild: USZ